Können wir die Zukunft kaufen?
Diese Frage steht auf Plattformen wie Polymarket oder Manifold Markets im Zentrum. Auf diesen Prognosemärkten wird auf Wahlausgänge, Klimakatastrophen oder allerlei Absurditäten rund um Donald Trump gewettet (aber es geht sogar noch viel zynischer und menschenverachtender, wie wir noch sehen werden). Basis ist eine neoliberale Ideologie mit geschlossenem Zukunftsbild. Mehr dazu hier.
Um zwischenzeitlich zu den Absurditäten zurückzukehren: Ich habe mir den Spaß gemacht und auf Manifold Markets auch eine Frage zur Abstimmung gestellt…
Will Donald Trump win the Nobel Peace Prize in 2025?
Absurd? Ja vielleicht, aber… wer hätte gedacht, dass Anfang 2025 die Souveränität Kanadas, Panamas und Dänemarks plötzlich zur Debatte stehen? Zugegeben, alles keine Argumente, die Trump in die Nähe eines Friedensnobelpreises rücken. Wenn man allerdings bedenkt, dass 2025 womöglich – ohne die möglichen Szenarien zu bewerten – Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine sowie zwischen Israel und der Hamas denkbar sind und der Friedensnobelpreis zudem immer mal wieder eher als Ausdruck der Hoffnung und Ansporn verliehen wurde – und wenn man das dann noch mit dem Ego von Trump paart, dann…
…ja dann, hat man plötzlich einen Markt für diese Frage.
Sie soll in maximaler Verdichtung verdeutlichen, wie Prognosemärkte zwischen Spielerei, gesellschaftlicher Bedeutung und moralischer Fragwürdigkeit oszillieren. Wer nun selbst seine Meinung dazu kundtun will, kann das auf Manifold Markets tun (Manifold Markets agiert mit Spielgeld und war deshalb Mittel der Wahl, wogegen Polymarket den an den „echten“ Dollar gekoppelten Stablecoin USDC nutzt).
Die Logik der Massen
Prognosemärkte setzen auf die Logik der Massen – und Märkte. Kritiker sehen darin ein dezentrales, manipulierbares Casino 2.0, das an Zynismus kaum zu überbieten ist. Insbesondere junge Männer sind im Wettfieber und stehen ohnehin längst Dopamin-Rausch versprechenden Sportwetten und Online-Glücksspielen auf ihrem Smartphone in häufig existenzbedrohender Weise unbeholfen gegenüber. Hauptsache, es kickt. Natürlich ist das auch bei Wetten auf Trump oder den Nahost-Konflikt nicht anders. Auf Polymarket gab es im November mehr als 200.000 Monthly Active Users, von denen jedoch nur etwa 10 Prozent Gewinn gemacht haben. Das sind noch weniger als etwa beim vulgären CFD-Trading.
Die grundsätzliche Kritik an derartigem ist fast schon ein No-Brainer. Meine hier soll sich aber eigentlich an etwas anderes richten. Aber davor noch zu durchaus beeindruckenden Fakten: Am 4. November 2024 hatte Kamala Harris auf Polymarket eine 41-prozentige Gewinnwahrscheinlichkeit bei den Wahlen zur US-Präsidentschaft. Es war letztlich wohl das akkurateste Vorhersageergebnis – ein Argument, das den Plattformen Glaubwürdigkeit verleiht. Es bleibt fraglich, ob dies auf den reinen Marktmechanismus oder auf Insiderwissen zurückzuführen ist.
Polymarket-Gründer Shayne Coplan stellt sein Unternehmen als Marktplatz dar, auf dem halt Information gehandelt wird. Vitalik Buterin, Ethereum-Erfinder und Polymarket-Investor, widersprach der Darstellung von Polymarket als Gambling-Plattform ebenfalls vehement, sondern betrachtet es als „Social Epistemic Tool“, das darlegt, wie wichtig welche Ereignisse sind und was mit welcher Wahrscheinlichkeit geschieht.
Neoliberale „Vermarktung“ der Zukunft
Weitere bekannte Polymarket-Investoren sind Peter Thiels Founders Fund oder Balaji Srinivasan, Advokat autonomer „Netzwerk-Staaten“. Ideologisch stehen die Akteure einander also nahe. Frei von jeglichem Patriotismus – nichts läge mir in diesem Kontext ferner – kann ich behaupten: Sie sind alle durch die „Österreichische Schule“ gegangen: Prognosemärkte selbst sind zwar keine neue Erfindung, moderne Plattformen, wie Polymarket, berufen sich auf die Ökonomie (oder Ideologie) von Friedrich Hayek, die den Markt als Instrument der Wissensbündelung feiert. Annahme ist: Wenn Menschen Geld auf ein Ereignis setzen, sollten sie rationale Entscheidungen treffen, denn falsche Vorhersagen kosten. Dieses Prinzip wird durch die Einsätze verstärkt – die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses spiegelt sich dieser Auffassung nach im Preis der entsprechenden Wette wider. So die neoliberale Theorie.
Prognosemärkte und der Kampf um die Zukunft
Selbst wenn man süchtig machende Patterns und eiskalten Zynismus („more than $13 million was bet on whether Israel would invade Lebanon in September„) außen vor lässt, beginnt spätestens hier beginnt die Krux.
In der englischsprachigen Zukunftsforschung wird häufig zwischen „Risks“ und „Uncertainties“ unterschieden. Wenn Risiken und Unsicherheiten semantisch vielleicht synonym erscheinen mögen, liegt in dieser Unterscheidung ein wichtiger ideologischer Unterschied: Risiko lässt sich kalkulieren. Der risikozentrierte Blick auf die Zukunft beschäftigt sich mit „wahrscheinlichen“ Ereignisketten, in denen sich gegenwärtige Verfasstheiten und Machtstrukturen fortschreiben. Im Unterschied zu Risiken sind Unsicherheiten jedoch nicht kalkulierbar und deshalb eher im Bereich der utopischen bzw. imaginierten Zukunftsbetrachtungen zu verorten.
Dabei sind idealistische Werte, Interessen, Bedürfnisse und Identitäten einer besseren Zukunft häufig gerade nicht durch die Fortschreibung des Aktuellen erreich- oder vorstellbar. Die kalkulierende, risikozentrierte Zukunftsideologie sieht die aktuellen Status hingegen als relativ stabil an und fokussiert im Prinzip auf Kontinuität und (kalkulierbare) Risiken für deren Fortschreibung. Das bedeutet meist auch, dass die betrachtete Zeitspanne weniger weit in die Zukunft reicht, als bei imaginierten Betrachtungen – und, dass sie in puncto idealistischer Ambitionen für eine bessere Gesellschaft unterambitioniert bleibt.
Kalkulierende Zukunftsbetrachtung ist für die Besitzstandswahrer, imaginierte für die Idealisten
Wenn die Berechnung der Zukunft zum zentralen Ziel wird, ist damit häufig gemeint, diese Berechnungen sollten grundsätzlich den Märkten und ihren „Experten“ überlassen bleiben. Abstraktere, idealistischere Konzepte, wie Freiheit, Solidarität oder Gleichheit als Ziele entziehen sich jedoch derartiger Kalkulationen bzw. sind davon ausgeschlossen. Gerade aus Sicht der oben erwähnten Polymarket-Investoren und ihrer Brüder im Geiste ist dies aber wohl eher Feature als Bug einer kalkulierenden Zukunftsbetrachtung. Es ist kein Versehen, sondern ihre Absicht. Dies unterstreicht, wie entscheidend unsere Vorstellung von der Zukunft – ob kalkuliert oder utopisch – darauf einwirkt, wie wir Machtverhältnisse denken.
Offene vs. geschlossene Zukunft
Ein weiterer Unterschied, der implizit schon angesprochen wurde, ist die Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Zukünften. Geschlossen sind jene, die die Zukunft in Alternativen aufteilen, die aus dem Status quo hervorgehen. Offen jene, die versuchen, sich davon zu befreien. Prognosemärkte sind somit eindeutig Erfüllungsgehilfe geschlossener Zukunftsbilder. Dem ist nicht zuletzt eine Gefahr für die Demokratie inhärent, oder, wie es Jonathan White in seinem äußerst empfehlenswerten Buch „In the long run“ schreibt:
„When the future seems to be closing in, institutions organised around the idea of persistent disagreemant and changing opinion start to look out of place (…) As politically important for democracy as whether the future was considered open was the degree to which future possibilities seemed to be expanding or contracting. For those with a stake in the existing order, the very idea of the open future could be disturbing. It spelt an unpredictable world, and could give rise to not just hopes of a better future but fears of degeneration.“
Jonathan White, In the long run (2024)
Die normative Kraft der Prognosemärkte
Genau darin liegt die normative Kraft von Prognosemärkten. Sie inszenieren eine pseudo-quantifizierte Quasi-Objektivität, neben dieser alternative, davon losgelöste Zukunftsentwürfe höchstens als „utopische“ (hier als Schmähwort verstanden), naive Spinnereien stehen. Deutlich wird es womöglich auch an der Art der möglichen Fragestellungen. So wird man auf Polymarket keine Frage finden, in der erst Definitionen verhandelt werden müssen, so etwas, wie „Werden wir 2050 in einer gerechteren Gesellschaft leben?“. Zu offen, zu idealistisch, zu wenig quantifizierbar – aber viel zu wichtig, um sie nicht zu stellen! Insofern ist es umso entscheidender, dass wir für eine offene Zukunftsbetrachtung kämpfen, da uns ansonsten von den genannten „Brüdern im Geiste“ eine im Rahmen ihrer Ideologie geschlossene aufoktroyiert wird, ohne, dass wir es merken. Schließlich können wir ja noch auf ja oder nein wetten.
„The smart way to keep people passive and obedient is to strictly limit the spectrum of acceptable opinion, but allow very lively debate within that spectrum – even encourage the more critical and dissident views. That gives people the sense that there’s free thinking going on, while all the time the presuppositions of the system are being reinforced by the limits put on the range of the debate.“
Noam Chomsky
Ein weiterer Beleg für die normative Kraft von Vorhersagemärkten: Medien, wie etwa Bloomberg, hatten die Polymarket-Quoten der US-Präsidentschaftswahl 2024 bereits integriert (z.B. im Bloomber Terminal). Darüber hinaus beziehen laut anonymer Aussagen von BlackRock-Mitarbeitenden diese mittlerweile die Wahrscheinlichkeiten auf Polymarket mitein: „The market “Ethereum ETF approved by May 31?,” about the odds of the SEC approving an Ethereum ETF submitted for approval by BlackRock, was how BlackRock was internally tracking their application, the employee claimed.„
Manipulation und die Propheten mit den tiefen Taschen
Nicht nur auf der Meta-Ebene manipulieren Prognosemärkte die Zukunft durch ihre normative Kraft. Sie selbst können auch relativ einfach manipuliert werden. Wie Francis Northwood in seinem Artikel über Polymarket weiter betont, können solche Systeme anfällig für Manipulation sein. Insbesondere sogenannte „Wale“ – Nutzer:innen mit enormen Einsätzen – können die Wahrscheinlichkeiten relativ leicht zu ihren Gunsten verzerren. Diese jungen, unregulierten Vorhersagemärkte bieten aktuell großes Manipulationspotenzial. Dies wirft folglich umso mehr Fragen nach der Integrität solcher Vorhersagen auf. Ist der Markt wirklich ein Abbild kollektiver Intelligenz? Und: Wie intelligent (von ethisch noch gar nicht gesprochen) ist es, auf inhumane Ergebnisse zu hoffen, weil man da seine „Stakes“ drin hat?
Der Markt ist ein Zyniker
Auf Polymarket wurden Millionen Dollar auf Fragen wie „Wird Israel den Libanon im September 2024 angreifen?“ gesetzt. Solche Prognosen, die sich auf kriegerische Konflikte oder humanitäre Krisen beziehen, stellen nicht nur moralische Dilemmata dar, sondern offenbaren auch strukturelle Probleme. Wer über Insiderinformationen verfügt, hat einen klaren Vorteil – und wird gleichzeitig dafür belohnt, dass er diese Informationen effektiv „monetarisiert“. Und da das Ganze als dezentraler, anonymer Markt nicht reguliert ist, können Insiderinformationen konsequenzenlos hier in bare Münze getauscht werden. Und obwohl solche Vorfälle laut Aussage von Polymarket untersucht werden, bleibt die Frage: Wie transparent können diese Plattformen sein, wenn die Anonymität ihrer Nutzer:innen ein Kernbestandteil ihres Designs ist?
Was, wenn die Unsichtbare Hand nicht unabhängig ist?
Der Markt regelt nicht alles, auch nicht die Prognosemärkte – und sie regeln schon gar nicht unsere Zukunft (hoffentlich, denn es wäre dann nicht mehr „unsere“, sondern „deren“). …ob Trump den Friedensnobelpreis 2025 nun gewinnt? Wir werden’s im Oktober erfahren. Momentan stehen die Quoten 1:20.
Wer sich nun denkt, es macht Sinn, sich doch etwas fundierter mit der Zukunft auseinanderzusetzen, für den habe ich noch einen Tipp in eigener Sache: Die Wiener Zukunftstage am 28. und 29. April.