Sport in der medialen Aufmerksamkeitsindustrie: Brot, Spiele, Schatten

Vielleicht wundert sich die eine oder der andere, warum ich an dieser Stelle über Sport schreibe. Nun ja, Sport nimmt einfach sehr viel Platz in den Medien ein. Und er erfüllt dabei eine Rolle in der Aufmerksamkeitsindustrie, derer man sich besser bewusst ist. In einem Kommunikations- bzw. Medienkultur-Blog halte ich das Thema daher für legitim, wenngleich etwas paradox. Denn, letztlich bekommt Sport hier noch zusätzlichen Platz zugesprochen. Eines sei noch vorausgeschickt: Das eigentliche Thema ist aber Aufmerksamkeit. Und mediale Inszenierung. Doch dazu gleich mehr.

Wo viel Flutlicht, da viel Schatten

Die meisten großen Fußball-Ligen sind schon seit ein paar Wochen wieder aktiv. Die NFL ist gestartet, die neue NHL-Saison – für mich als Hockeyfan besonders erfreulich – steht in den Startlöchern usw. Der auf Hochglanz polierte, spektakulär inszenierte und hochgradig professionalisierte Spitzensport heischt wieder nach Aufmerksamkeit. Sport ist gute Unterhaltung und bietet im persönlichen Umfeld Gesprächsthemen. Also, wo ist das Problem?

Die Aufmerksamkeit bleibt an der Oberfläche

Zuschauersportarten im Broadcast sind ein hervorragender gesellschaftlicher Integrationsfaktor. Jeder kann leicht andocken. Sie sind im Idealfall kurzweilig, unterhaltsam und schaffen gemeinsame Gesprächsgrundlagen. Zusätzlich bietet Sport jedem die Möglichkeit, sich in unterschiedlichen Detailtiefen damit auseinanderzusetzen. Ob historisch, statistisch, Gender, Boulevard – alles ist dabei. Aber gleichzeitig bleibt der Sport-Diskurs insgesamt tendenziell sehr nahe an der Oberfläche. Es ist eben doch „nur“ Sport.

Das große Talent des Spektakels, und nichts anderes sind die Inszenierungen der populärsten Sportarten heute, ist es, Aufmerksamkeit an sich zu binden. Als Ergebnis nehmen sie unverhältnismäßig viel Raum im gesellschaftlichen Diskurs ein. Das potenzielle Problem dabei ist: Sowohl Aufmerksamkeit als auch Raum im Diskurs sind durch den Menschen natürlich beschränkt. In diesem langen Schatten der Aufmerksamkeit bleiben andere, gesellschaftlich vielleicht wesentlich relevantere Dinge im Dunkeln.

„[Sport] does have the twin effect of occupying and distracting the populace, selling consumer products, promoting militarism, limiting in subtle ways the popular and political discourse and upholding the status quo as much as any other pop-cultural facet of the media establishment“ (Reddit.com/ForeverAnIslesFan)

Die Nicht-Aufmerksamkeitsindustrie: Im Dunkeln ist gut munkeln

In diesem Schatten der Aufmerksamkeit können politische Akteure zudem hervorragend ag(it)ieren. Unpopuläre, häufig auch fragwürdige Maßnahmen werden einfacher und rasch vorangebracht. Aber diese würdigen Fragen bleiben dann häufig aus. Denn die Aufmerksamkeitsfähigkeit der Gesellschaft ist vom Spektakel okkupiert.

So hat etwa Russland im Schatten der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 sowohl das Rentenalter, als auch die Mehrwertsteuer erhöht:

„Es sei nicht erstaunlich, dass die WM alle anderen Themen wie Rentenreform, Steuererhöhungen, aber auch Benzinpreisanhebungen verdrängt habe, sagte die Soziologin Karina Pipija. ‚Diese Themen werden wesentlich weniger auf den staatlichen TV-Kanälen beleuchtet als die WM, die praktisch nonstop läuft‘, sagte sie. Das taktische Manöver der Regierung, die Reform unter dem Mantel der WM zu lancieren, dürfte damit erst einmal geglückt sein.“ (Handelsblatt)

Auch in Deutschland lässt man derartige Aufmerksamkeits-Vakuums ungern ungenutzt: 2006 wurde während der Heim-WM im Fußball die Mehrwertsteuer erhöht, als die WM 2010 in Südafrika gerade im Gange war, der Krankenkassenbeitrag. 2012, Halbfinale der Europameisterschaft, Deutschland gegen Italien: Fragwürdige Änderungen im Meldegesetz. (Deutschlandfunk)

Blüh im Glanze

Nun kann man die konzentrierte Aufmerksamkeit aber natürlich auch gleich direkt nutzen. So reproduzieren Weltmeisterschaften oder ähnliches das Nationalgefühl, sind medial omnipräsent. Erfolge sind für Regierungen von strategischem Wert. Athleten und Teams dienen seit jeher als Projektionsfläche für die eigene Identitätskonstruktion. Eine gefällige Arena politischer Indoktrinierung.

Wenn ich mir NHL-Eishockey anschaue, ist mir regelmäßig eines ein Dorn im Auge. Omnipräsente Amerikanische Pro-Militär-Propaganda und Veteranenkult. Man frönt unverholen dem Nationalismus und der eigenen militärischen Stärke. Veteranen und Kriegshelden werden frenetisch im Spotlight bejubelt. Anschließend geben sich alle gemeinsam, inklusive der Zuschauer an den Empfangsgeräten, in religiös anmutender Huldigung der bedingungslosen Vaterlandsliebe hin. Ein weiteres Mal. Dieses Verhalten ist erlernt und muss zum Fortbestand immer reproduziert werden. Dafür ist der Zuschauersport der ideale Circus.

So ist es in den USA gang und gäbe, dass sich die Army mit „Paid Patriotism“ in die konzentrierte Aufmerksamkeit einkauft, auch, wenn man darüber nicht gerne spricht:

„The Department of Defense doled out as much as $6.8 million in taxpayer money to professional sports teams to honor the military at games and events over the past four years, (…) New Jersey Army National Guard paid the New York Jets $115,000 to recognize soldiers at home games. (…) revealing that 72 of the 122 professional sports contracts analyzed contained items deemed ‚paid patriotism‘ — the payment of taxpayer or Defense funds to teams in exchange for tributes like NFL’s ‚Salute to Service.‘ Honors paid for by the DOD were found not only in the NFL, but also the NBA, NHL, MLB and MLS. They included on-field color guard ceremonies, performances of the national anthem, and ceremonial first pitches and puck drops.“ (HuffPost)

No Sports?

Der Sport selbst ist nicht das Problem, sondern seine Inszenierung, seine Vermarktung und unser unreflektierter Umgang damit. Ich schaue weiterhin gerne meine Hockeyspiele, allerdings möglichst mit Distanz zur Inszenierung (wo immer mir das bewusst ist). Und mit einem gewissen Bewusstsein über die Mechanismen der Aufmerksamkeitsindustrie. Das möchte ich als Empfehlung mitgeben.

Die letzten Worte in diesem Beitrag gebühren einem, der das alles schon vor längerem erkannt hat: Noam Chomsky mit einem Auszug aus „Manufacturing Consent (1992)“

„Take, say, sports — that’s another crucial example of the indoctrination system, in my view. For one thing because it — you know, it offers people something to pay attention to that’s of no importance. [audience laughs] That keeps them from worrying about — [applause] keeps them from worrying about things that matter to their lives that they might have some idea of doing something about. And in fact it’s striking to see the intelligence that’s used by ordinary people in [discussions of] sports [as opposed to political and social issues].

(…) You know, I remember in high school, already I was pretty old. I suddenly asked myself at one point, why do I care if my high school team wins the football game? [laughter] I mean, I don’t know anybody on the team, you know? [audience roars] I mean, they have nothing to do with me, I mean, why I am cheering for my team? It doesn’t mean any — it doesn’t make sense. But the point is, it does make sense: it’s a way of building up irrational attitudes of submission to authority, and group cohesion behind leadership elements — in fact, it’s training in irrational jingoism. That’s also a feature of competitive sports. I think if you look closely at these things, I think, typically, they do have functions, and that’s why energy is devoted to supporting them and creating a basis for them and advertisers are willing to pay for them and so on.“

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