Warum „Kommunikationserfahrung“ eine Nebelgranate ist

Viele arrivierte Agentur-Zampanos und Kommunikationsberater brüsten sich mit der Anzahl ihrer gesammelten Jahre an Kommunikationserfahrung. Wenn die allerdings zum Hauptargument wird, darf man die zukünftige Kompetenz infrage stellen.

Kommunikationserfahrung ist rückwärtsgewandt

Das bedeutet: Kommunikationserfahrung stellt den Blick in die Vergangenheit ins Zentrum. Sie ist ein Rückspiegel, eine Ahnengalerie der Kompetenzen, bisweilen auch Selbstbeweihräucherung. Bei einer sehr progressiven Disziplin wie der Kommunikation stellt sich jedoch die berechtigte Frage der Relevanz hiervon, geht es doch um die Zukunft. Muss der Anspruch nicht sein, zumindest auf der Höhe der Zeit zu agieren?

Das bedeutet nicht, dass Erfahrung völlig irrelevant ist. Wer auf jahrelange Erfahrung in Verbindung mit Ergebnissen verweisen kann, zeigt eine gewisse Adaptionsfähigkeit. Besonders kritisch werde ich aber immer dann, wenn Kommunikationserfahrung besonders herausgestrichen und betont wird. Dabei besteht die Gefahr, Kommunikationserfahrung als Kommunikationskompetenz bewusst zu verschleiern oder zu verkennen. Nun, das ist sie nicht.

Um qualitative Kommunikation auf Höhe unserer postmodernen Zeit leisten zu können, sind angestaubte Leistungen in mittlerweile antiquierten Kommunikations(um)feldern wenig relevant. „Heute muss ein junger Amerikaner mit mindestens zweijährigem Studium damit rechnen, in vierzig Arbeitsjahren (…) seine Kenntnisbasis mindestens dreimal auszutauschen“ hat Richard Sennett 1999 ganz allgemein festgestellt. Das war vor 20 Jahren. Man kann wohl davon ausgehen, dass sich die Kenntnisbasis heute – und insbesondere in einer derart dynamischen Disziplin – in erheblich kürzerer Taktung komplett erneuern muss. Sebastian Thrun sagte der Zeit etwa kürzlich: „Amerikaner durchlaufen sieben Karrieren im Leben.“ Sich auf Erfahrung zu verlassen, ist in einem disruptiven Umfeld demnach fahrlässig.

Wesentlich sind langfristiges Wissen (im tatsächlich wissenschaftlichen Sinne – für das das eigene Erfahrungswissen selten ausreichen kann) und State-of-the-Art-Skills, um dieses anzuwenden. Erfahrung ist nice to have, laviert irgendwo dazwischen und entzieht sich qua Abstraktion ihrer Validierung.

Wissen ≠ Erfahrung!

Oft versuchen jene, die sich vorrangig auf ihre Erfahrung berufen, diese als Wissen zu verkaufen. Aber Erfahrung selbst ist längst noch nicht Wissen! Wenn also jemand die heute noch gültigen Erkenntnisse der Klassiker der Kommunikationsforschung für seine Arbeit zu nutzen weiß, ist das definitiv ein Asset. Dieses sollte man dementsprechend hoch bewerten! Der springende Punkt dabei ist aber: Dabei handelt es sich um angeeignetes Wissen und nicht um gemachte Erfahrung.

Viele, die gerade nicht auf Basis von Wissen und Erkenntnis Kommunikationshandwerk betreiben oder gar nur verkaufen möchten, führen für ihre scheinbare Befähigung dazu häufig abstrakte Scheinkompetenzen wie „Instinkt“ oder „Gefühl“ (oder eben in Kombination „Erfahrung“) ins Treffen. Das allein sind Nebelgranaten, als Beleg müsste jedenfalls Fundiertes kommen. Je abstrakter, desto unseriöser. Die Grenze zum Bullshit ist oft fließend. Leider lassen sich davon immer noch viele bereitwillig blenden. Übrigens ist es durchaus möglich, Kommunikationserfolge zu messen, wenn man das wirklich möchte.

Exkurs: Erfahrung als Euphemismus für Lobbying

Kommunikationserfahrung wird auch immer wieder als Keyword für ein ausgebautes persönliches Netzwerk verwendet. Hier liegt der Fall jedoch anders. So ist es im Public Affairs-Bereich oft einfach zu platt, „Lobbying“ als Tätigkeit anzubieten. Da wird gerne der Begriff Kommunikationserfahrung bewusst missbräuchlich als Signalwort verwendet.

 

tl,dr: Kommunikationskompetenz > Kommunikationserfahrung

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