Technologiegläubigkeit – oder „Glauben heißt Nicht-Wissen“

So, worum soll’s also diesmal gehen: Um Technologiegläubigkeit und die Nebelgranate, die sie ist. Zunächst: Ich bin voller Überzeugung, dass es der Fortschritt ist, der uns als Gesellschaft ausmacht – als Triebkraft und Leitmotiv. Und ich denke auch, wenn ich mein Herz auf der Zunge tragen darf (und es ist mein Blog, also natürlich darf ich): Konservative sind – oft privilegierte, aber dennoch – Loser dem Fortschritt gegenüber, deren Antrieb die Angst vom Verlust von Privilegien ist und die Technologiegläubigkeit als Narrativ nutzen, um informierte Entscheidungen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben zu können. Denn informierte Entscheidungen sind für sie und ihre antiquierten Privilegien bedrohlich. Außerdem ist Angst bekanntlich ein schlechter Ratgeber, gesamtgesellschaftlich sowieso.

Jetzt sitzen wir, die Verfasstheit unseres Planeten betrachtet, also so tief in der Scheiße, dass es einen verleitet, mit einem Wunder zu spekulieren, das alles wieder ins Lot bringt; dem „Wunder der Technik“. Ich denke aber, dass es nicht die Technologie ist, die uns retten wird oder kann, unabhängig davon, welche…

…denn dieser Prämisse folgend hätte uns ja etwa auch die Industrialisierung schon viel stärker von Arbeit entlasten müssen. Passiert ist das trotz technologischen Fortschritts aber nicht. Die technologisch bedingten Produktivitätsgewinne seit den 1980er-Jahren sind exorbitant. In welchem Umfang hat das Wunder der Technik die Arbeitszeit seither reduziert? In Arbeitsstunden ausgedrückt: 0. Überzeugt mich jetzt nicht so.

Leider zu wenig Müll gelernt

Vor kurzem habe ich zufällig einen kurzen Clip gesehen, der vermittelte, dass man doch bitte seine Verpackungsmaterialien in der Gelben Tonne nicht ineinander stecken und möglichst voneinander getrennt als „Einzelstücke“ – ja nicht ineinander verdichtet – entsorgen soll. Der Grund: Die Sortiermaschinen erkennen zwar das Material und können danach sortieren, allerdings nur, wenn es lose und nicht ineinander verschachtelt daher kommt. Klingt simpel, aber ich wusste es schlicht nicht. Shame, shame, shame. Da fragt man sich, wo man sonst bisher noch so uninformiert tagtäglich Scheiße baut, die technologisch eigentlich schon längst gelöst wäre (heißer Tipp: z.B. beim Umgang mit dem Thermostat der Heizung).

…wo wir schon beim Müll sind: Biomüllsäcke aus biologisch abbaubarem Bio-Plastik sind in den Biotonnen der meisten Kommunen völlig kontraproduktiv, da sie von den Sortiermaschinen als Plastik erkannt und samt Inhalt aus dem Biomüll aussortiert werden. Da ist es prinzipiell irrelevant, ob die nun aus Maisstärke sind oder nicht. Dass diese in Städten verkauft werden, ist also idiotisch – aber wer weiß das schon? Und ich will gar nicht wissen, bei wie vielen es schon beim Mülltrennen grundsätzlich scheitert (wobei, genau das ist das Problem: Wir sollten mehr wissen wollen). Leuten, die zu Biomüllbeuteln aus Maisstärke greifen, ist zumindest das Bemühen nicht abzusprechen.

Warum ich so viel Müll erzähle? Das ist eine berechtigte Frage, im konkreten Fall kann ich sie ausnahmsweise beantworten: Weil das alles Beispiele von Sachverhalten sind, die mir bis vor kurzem nicht bewusst waren und hier als Beispiel dienen, dass das bloße Vorhandensein einer Technologie nichts löst. Technologiegläubigkeit ist also unangebracht.

Der Punkt dabei: Entscheidend ist weniger, ob die Technologie bereits so weit ist (und das ist sie häufig), sondern ob wir in der Lage sind, informierte Entscheidungen zu treffen (denn das tun wir häufig nicht). Weitere Beispiele gefällig? Um nicht ganz aus der Reihe zu fallen vielleicht aus dem Bereich des in Form gebrachten Sondermülls? Gern doch!

Raus ins Grüne – wo die Klimasünder zu Hause sind

Das grüne Landidyll, wer sehnt sich nicht immer wieder danach? Ich tue das. Am Land, da wo die Welt noch in Ordnung ist, nicht wahr? Nicht wahr. Die effizienteste Form der Wohnraumschaffung (und auch -bewirtschaftung) ist der Geschosswohnungsbau, da hier Flächenverbrauch und -versiegelung am geringsten und der Energieverbrauch am effizientesten ist, pro Bewohner*in gerechnet. Die präsente Wahrnehmung der umweltschädlichen Betonwüste „Großstadt“ und des gesunden Landlebens ist gesellschaftlich gesehen nichts als Bullshit. Wenn das Leben am Land gesünder ist, ist es – so ehrlich muss man sein – ein Privileg auf Kosten jener, die ihr Leben gesamtgesellschaftlich und ökologisch verträglicher gestalten, etwa im Geschosswohnbau mit ein oder maximal zwei Außenwänden, ÖPNV und kurzen Wegen anstatt eigenem Haus und einem Auto pro Erwachsenem. Der ökologische Fußabdruck am grünen Land ist erheblich größer als in der grauen, versmogten Stadt. Selbstverständlich ist das so, wenn man die Fakten sortiert, nur will es nicht so recht in unser Bild passen. Unabhängig von der persönlichen Technologiegläubigkeit: So passiv kann ein Einfamilienhaus gar nicht sein, dass es in dieser Hinisight mit dem Geschosswohnbau (einer seit langem vorhandenen „Technologie“) konkurrieren könnte. Das soll gar kein Vorwurf sein, eher ein Zurechtrücken der Wahrnehmung. Aber keine Sorge, liebe Hausbesitzer, ist noch nicht fertiggerückt!

Denn: Im politischen Diskurs wird oft betont, man müsse dem Wohnbau mehr Anstrengungen im Bereich der CO2-Einsparungen abverlangen. Dabei hat gerade in diesem Bereich die Technologie erhebliche Fortschritte erzielt. Seit 1990 wurden im Gebäudesektor in Deutschland 43 Prozent CO2 eingespart, während 9 Millionen Wohnungen gebaut wurden und die Wohnfläche um 42 Prozent gestiegen ist.

Aber was bringt dieses technologische Potenzial, wenn wir parallel dazu weiterhin uninformierte Entscheidungen treffen und damit diese Potenziale zunichte machen? Beispiel? An den Berliner Rändern, dort wo völlig überteuerte Bauflächen ausgewiesen werden und das Bauland ohnehin knapp ist, ist behördlich häufig eine maximal ineffiziente Bebauung (räumlich, wie ökologisch) vorgeschrieben(!). Offiziell heißt dies dann „Bebaubar wie Nachbarbebauung“ und ist im § 34 BauGB geregelt. Es ist also auf diesen ohnehin knappen Flächen häufig untersagt, effiziente Bauprojekte und -technologie umzusetzen. Stattdessen müssen es pro Haushalt dann vier Außenwände, maximal zwei Geschosse und ein Satteldach sein. Schlau ist das nicht.

„Die Uninformiertheits-Industrie für Technologiegläubigkeit“

Das taugt zum impliziten Kampagnen-Slogan, aber dazu gleich mehr. Nunja, bevor mich die Eigenheimbesitzer steinigen, versuchen wir’s vl. nochmals ein wenig informierter und widmen wir uns dem Bereich, wo tatsächlich noch richtig viel zu holen ist. Denn die Zahlen geben nicht her, dass sich gerade der Wohnbau zukünftig so ins Zeug legen müsste. Die Geschichte wird – vermutlich bewusst – falsch erzählt (ein Schelm, wer Böses denkt):

Der Wohnbestand hat in Deutschland etwa 27 Prozent Anteil am Endenergieverbrauch und 18 Prozent an den Emissionen (10 Prozent des Endenergieverbrauchs und 7 Prozent der Emissionen verursacht der Geschosswohnungsbau, den Rest davon Ein- und Zweifamilienhäuser). Aufgrund der oben erwähnten Fortschritte im Bereich Effizienz kostet es im Wohnbau mittlerweile zwischen 850 und 2000 Euro, jede weitere Tonne CO2 einzusparen. Doch das ginge auch günstiger. Nur halt woanders.

In der Industrie gibt es die Tonne zusätzlich eingespartes CO2 im Schnitt um eine Investition von 10 bis 150 Euro. Man könnte irgendwie zu dem Schluss kommen, als bestünde kein allzu großes Interesse daran, die Industrie mit einem Bruchteil der Kosten zu belasten, die im Wohnbau als Notwendigkeit erzählt werden. Am Ende käme es zu informierten Entscheidungen anstatt dem Folgeleisten im Sinne eines Narrativs der Technologiegläubigkeit als politischem Lobbying-Instrument. Und wer will das schon? Die Industrie vermutlich nicht. Denn informierte Entscheidungen kommen immer mit Verantwortung daher und die ist schlecht für’s Geschäft. Zweifellos ist im Bereich Industrie der technologische Fortschritt weiter als in fast allen anderen Bereichen, wenn es etwa um den Anlagenbau oder die Optimierung der Produktionsprozesse geht. Aber wo kein Wille, da halt kein Weg. Sollen die sich mal schön im Wohnbau drum kümmern.

Außerdem, die Industrie muss ja wettbewerbsfähig bleiben!

Demokratie > Technokratie

Leider ist es mir in diesem diesmal nur mäßig geglückten Text eben auch nur mäßig gelungen, meinen Punkt herauszustreichen, deshalb sicherheitshalber nochmal: Das Argument, dass Technologie grundsätzlich irgendetwas löst – die Technologiegläubigkeit –, ist nichts anderes als Sand in unseren Augen. Das Warten auf die eschatologische Technokratie ist vergeudete Zeit, die wir darüber hinaus nicht haben. Das einzige, das uns aus unserer Misere befreien kann, sind möglichst informierte Entscheidungen und um diese treffen zu können, braucht’s möglichst umfassende, humanistische Bildung für möglichst viele Menschen und nicht „The next big thing“.

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