Die Neueste Zürcher Zeitung kommt aus Wien – NZZ.at

Nachdem Michael Fleischhacker infolge der Entwicklungen rund um Die Presse/Styria um 2012 von der Bildfläche verschwunden war (von einer deplaziert wirkenden Kolumne in der bunten Kurier-Beilage „Freizeit“ abgesehen), meldete er sich 2014 mit dem schillernden Projekt NZZ.at zurück. Dabei handelt es sich offensichtlich um einen Testballon der NZZ, um auszutesten, wie sich das Medienhaus in Zukunft online aufstellen kann. Teils gute Ansätze, der Stein der Weisen wurde dabei noch nicht entdeckt.

Dank eines Test-Zugangs konnte ich vermittels einer Bekannten das Portal für etwa einen Monat lang kostenlos ausprobieren – für Interessierte: der Probemonat kostet aber auch so nur einen Euro 😉 Kann man ausprobieren.

Ich würde NZZ.at wohl weiter nutzen, wenn ich die Möglichkeit dazu gratis hätte. Genau darum geht es aber gerade nicht: Erlöse sollen durch ein Abo-Modell lukriert werden. Das ist legitim, wird in dieser Form aber aller Voraussicht nach scheitern. Zumindest bedarf es Adaptierungen und „softerer“ Formen oder Abstufungen zu 14 Euro/Monat, dafür Vollzugang zu Online-Inhalten. Für ein eher allgemeines Angebot wie NZZ.at bleibt das dergeartete Erlös-Potenzial recht überschaubar.

NZZ.at: General oder Special Interest?

Dahinter steckt eine einfache Logik:

  • für hochspezifische Inhalte (z.B. den Finanzmarkt betreffend) kann – auch online – viel Geld verlangt werden – allerdings nur von wenigen
  • für wenig spezifische Inhalte (z.B. News) können – wenn überhaupt – nur sehr geringe Beträge verlangt werden – dafür ist die potenzielle Zielgruppe sehr groß und umkämpft

Ein Problem in der Herangehensweise ist das „Print-Mindset“ von Verlegern. Klar, für eine täglich gelieferte österreichische Druckausgabe der NZZ wären 14 Euro/Monat ein nahezu unschlagbar günstiger Preis. Aber online: no way. Die heutige Kultur der Online-Nutzung sieht es bisher nicht vor, derart „viel“ Geld für allgemeine Informationsplattformen in die Hand zu nehmen. Dabei hat NZZ.at einige nette Features zu bieten. Dazu später im Detail.

Screenshot NZZ.at
Screenshot NZZ.at

Nachrichten, Phänomene, Club

Das sind die drei großen Segmente des Angebots. Die Nachrichten sind in Form eines Digests aufbereitet. Man bedient sich anderer Medien (unter Verweis auf die Quellen) und seziert daraus den relevanten Gehalt (oder das Dafürgehaltene) in Form von sechs Bullet Points. Das Format basiert auf einer Zusammenarbeit mit dem interessanten Start-Up updatemi. Es ist übersichtlich, aber auch sehr strikt. Hintergrundinformationen, Reportagen etc. finden sich davon getrennt im Bereich Phänomene. Dann gibt es noch den Club, wo Redakteure und Leser (mit NZZ.at-Profil) diskutieren und kommentieren (sollen).

Um noch kurz bei den Nachrichten zu bleiben: In der Früh im Büro bin ich es gewohnt, den auf mein Unternehmen zurecht geschnittenen Pressespiegel durchzusehen und – meist parallel – relevante (Gratis)Online-Medien anzusehen, um halbwegs informiert in den Tag zu starten. In diese Kerbe schlägt ein Service von NZZ.at, das ich als sehr angenehm empfande:

  • Das Nachrichtenbriefing. Es fasst die wichtigsten aktuellen Nachrichten in wenigen Absätzen zusammen und wird dreimal täglich aktualisiert (siehe Screenshot oben)

Bei den Phänomenen widmen sich die Redakteure eingehend ihren Fach- bzw. aktuellen Schwerpunktthemen. Ein bekanntes Format mit gleichem Namen hat bereits die Süddeutsche etabliert. Inhaltlich beschäftigt man sich dort jedoch mit Illustrem aus der Online-Welt. Demfolgend habe ich unter diesem Titel eine ähnliche Rubrik erwartet und war zunächst etwas verwirrt.

Neben Nachrichten und Phänomenen ist der bereits angesprochene Club die dritte Hauptkategorie. Dieser sammelt etwa User-Generated Content, Beiträge von Gastautoren oder Kommentare der Redakteure. Er bildet also die „Community“ ab. Ein erwähnenswertes Offline-Zusatzangebot sind die NZZ-Clubabende mit Gesprächspartnern zu jeweils aktuellen Themen. Dabei handelt es sich um Diskussionsveranstaltungen in der NZZ.at-Redaktion, oft moderiert vom Chefredakteur selbst – ein interessantes Format, wenn man Wiener ist.

Ein paar gute Ideen, ein altes Problem

Nach dem Blick auf die inhaltliche Aufbereitung ein paar Worte zu jenen Dingen, die das Leseerlebnis verbessern, oder zumindest vereinfachen sollen:

  • NZZ.at bietet die Möglichkeit zu personalisieren
    NZZ.at bietet die Möglichkeit zu Personalisieren

    Personalisierung des Informationsflusses: NZZ.at kann den eigenen Ressort-Interessen angepasst werden. Hürde dabei ist, dass es eine aktive Einrichtung durch den Nutzer benötigt. Facebook etwa bedient sich des Vorteils, dass sich durch akkumulierte Like-Angaben der „eigene“ Newsstream mit der Zeit gefühlt quasi von selbst ergibt. Ein Newsportal hat’s da natürlich nicht ganz so leicht. Eine Lösung nach dem +/- Bewertungsprinzip könnte spannend sein. Diese würde auch Material für „Die 10 beliebtesten Beiträge“ oder „Dieses Thema polarisierte heute am meisen“ abgeben.

  • NZZ-LesedauerAngabe der Lesedauer: Für Texte der Phänomene und des Clubs wird vorab die geschätzte Lesedauer angegeben. Braucht man zwar nicht, ist aber praktisch. Ich bin so konditioniert, einen Beitrag vor dem Lesen erst bis zum Ende zu scrollen und mir so mehr unbewusst selbst zu dieser Einschätzung zu behelfen. Aber wie gesagt: keine schlechte Sache, wenngleich natürlich sehr relativ. Dennoch bildet es Verhältnismäßigkeiten ab.
  • Briefing und Bulletpoints: Diese bereiten News gefällig auf

…und zu jenen, die noch hinderlich sein können:

  • Die harte Paywall: Wird dieses Konzept von genügend Leuten angenommen, um a) sich zu finanzieren und b) ein relevantes Medium zu werden? Vielleicht könnte man manche Services und Artikel auch einzeln anbieten – das News-Briefing als Abo z.B., einzelne Artikel, Autoren oder gesamte Phänomene gegen geringe Beträge.
  • Phänomene: Wird das Phänomene-Konzept verstanden? Ich habe dabei sofort an die SZ gedacht und nach Ähnlichem gesucht. Vergebens.
  • Exklusiver Club: Die Zusammenfassung von Redaktion, Gastautoren und Nutzern im Club zu einer NZZ.at-Community ist spannend. Dass der Content hinter einer Paywall liegt, kann das Ganze aber zu einer recht elitären Veranstaltung werden lassen.

Aktuelles Fazit: Es bleibt spannend, das ambitionierte Projekt NZZ.at weiter zu beobachten. Man traut sich neue Wege zu und wird wohl lernen müssen, dass manche ins Leere führen. Das muss dann auch erlaubt sein – solange man die richtigen Schlüsse daraus zieht und es schafft, sich Bedürfnissen anzupassen. Ein allgegenwärtiges Thema: Erlöse.

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