„Parasitärer Vertrieb“ als Geschäftsmodell

Das neue Angebot uebermedien.de greift den Diskurs um Niveau und Rechtfertigung der Medien auf (Stichwort „Lügenpresse“) und erhebt ihn zum Modell für die eigene Plattform. Der Vertrieb des eigenen Contents erfolgt über Fremdstrukturen. Parasitärer Vertrieb: Ein Szenario für neue, schlanke Medienprodukte ohne etablierte Vertriebsstrukturen?

Man kennt Stefan Niggemeier als Medienmensch. Bildblog.de geht etwa auf sein Konto, bis Mitte 2015 war er auch federführend bei Krautreporter an Bord. Nun hat Niggemeier gemeinsam mit Boris Rosenkranz vom NDR die Plattform übermedien.de gestartet. In einer Zeit verwirrter, hysterischer „Lügenpresse“-Schreier auf der einen und der auch irrläufigen Forderung „Sperrt die Foren zu!“ (Originalbeitrag mittlerweile nicht mehr aufrufbar) auf der anderen Seite weist diese Bruchlinie auf einen aktuellen Diskurs hin, den übermedien.de professionell aufgreifen möchte.

„Was fehlt, ist gute Medienkritik, die zwischen den Stühlen sitzt. (…) unideologisch und fundiert“ – so formulieren die Gründer den eigenen Anspruch gegenüber derStandard.at. Bei Medienkritik handelt es sich gewissermaßen um eine mediale Metakategorie. Ein solches Angebot gegen Gebühr erscheint als neuer Ansatz. Wenn gut gemacht, wäre der Erfolg eines solchen Projekts durchaus wünschenswert. Ob aber genügend Interessierte Geld dafür bezahlen werden? Wird wohl schwierig, auch wenn es im Abo „nur“ 3,99 pro Monat sind. Ein Kulturthema.

Geschäftsmodell: „Schau‘ ma mal, dann seh‘ ma’s eh!“

Die beiden Gründer haben übermedien.de aber keinen Businessplan zu Grunde gelegt und finanzieren sich persönlich nach wie vor über ihre Brotberufe. Das gibt ihnen und dem Projekt die Freiheit, sich entwickeln zu lassen. In einer Welt möglichst schneller, profitabler Exits und komplex fabulierter Zukunftsszenarios ist das erfrischend sympathisch und bodenständig. Die beiden kommen vom Fach und verfügen zweifellos über Kompetenz, da kann man durchaus einfach mal probieren, was man für geboten hält, ohne gleichzeitig Kopf und Kragen riskieren zu müssen.

Neben der großen Herausforderung, dem kühnen eigenen Anspruch gerecht zu werden, greift das Projekt aber noch eine interessante Idee auf – und zwar, was den Vertrieb betrifft. Verhältnismäßig kleine und neue Medienunternehmen verfügen meist über keine etablierten Vertriebsstrukturen. Weiters ist es schwierig bis unmöglich, Akzeptanz für eigene Bezahllösungen zu schaffen, die darüber hinaus erstmals konzipiert werden müssten. Warum also nicht den eigenen Content im Kiosk in einer Riege mit etablierten Publikationen anbieten? …also natürlich im digitalen!

Parasitärer Vertrieb

Das klingt negativer, als es eigentlich gemeint ist: Die technische Abwicklung des Abomodells erfolgt über den niederländischen Digitalkiosk Blendle“ (Zitat derStandard.at-Interview) – siehe da! Blendle, ein alter Bekannter auf diesem Blog. übermedien.de sucht sich quasi einen Wirt, dessen Vertriebsstrukturen beansprucht werden können. Stimmt die Qualität, hat übermedien.de aber das Potenzial zum „nützlichen Parasiten“, von dem beide profitieren.

Ein gewievter Zug, um die fehlenden eigenen Vertriebsstrukturen auf diese Weise (über) zu kompensieren. Vielleicht wird „Parasitärer Vertrieb“ (you read it here first 😉 ) ja auch mal etwas für MediaPunk.org. Wobei Blendle da bestimmt den recht ambitionierten Gatekeeper macht. Corporate Publikationen erhalten entsprechend persönlicher Nachfrage etwa keinen Zugang zum digitalen Kiosk. Auch bei neuen Online-Angeboten wird man genau auf Relevanz und Qualität schauen, um unseriösen Ramsch zu vermeiden.

Übrigens: Auch der Spiegel hat dieses Prinzip bereits zumindest einmal genutzt (auch wenn er das offenbar nicht mehr tut und auch, wenn das von mir verlinkte FB-Posting dazu mittlerweile scheinbar gelöscht wurde), um die eigene Titelstory vom 11. Jänner 2016 via Blendle zu verkaufen. Dürfte ein einmaliger Testballon gewesen sein.

UPDATE, 12.2.2016:
Entsprechend des Feedbacks (siehe Kommentarbereich) nutzt übermedien.de Blendle selbst nicht für den Vertrieb und ist selbst auch nicht im Blendle-Kiosk vertreten. Blendle ist Partner für die technische Abwicklung, mehr dazu hier: http://übermedien.de/abo/

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    1. Ah, danke für die Info – werde den Artikel updaten!
      Die Formulierung „Die technische Abwicklung des Abomodells erfolgt über den niederländischen Digitalkiosk Blendle (…)“ (derstandard.at/2000030792796/UebermedienGute-Medienkritik-die-zwischen-den-Stuehlen-sitzt) legt diesen Schluss nahe

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